Wo ist sie hin? Wo findet man noch Reitkultur? Auch in anderen Bereichen ist der Sinn für Kultur, für das Schöne und Künstlerische irgendwie verloren gegangen. Alles muss entweder praktisch oder schnell oder billig sein.
Doch was ist mit der intensiven Verbindung zum Pferd? Der intensiven Verbindung aus Vertrauen und Respekt, die man sich aber erarbeiten muss, sie wird einem ja nicht vom Pferd geschenkt.
Reitkultur erfordert auch Wissen. Wissen über das Pferd - und damit meine ich hier nicht wissenschaftliche Erkenntnisse. Sondern Wissen über die Spiritualität des Pferdes, die Seele des Pferdes.
Und Reitkultur erfordert Takt. Nein, ich meine nicht den Takt in der Bewegung sondern das Taktgefühl. Und zwar das Taktgefühl, dass ich als Mensch gegenüber meinem Pferd habe und gleichzeitig auch meinen Mitmenschen.
Wo ist das alles hingekommen? Wird das denn nirgends mehr gelehrt? Die Antwort lautet:
Kaum.
Reiten ist Kultur ist Lebensschule.
Übrigens beginnt Reiten für mich mit dem Betreten des Stalles, mit dem Betreten der Box. Ich nehme mir Zeit. Zeit, mein Pferd zu begrüßen, zu sehen, wie es ihm geht. Ich putze es in Ruhe.
Und sorgfältig und nehme hier bereits so viele Dinge wahr: Hat es irgendwo Blessuren, wie ist seine Gemütslage? Was braucht es heute? Natürlich habe ich mir Gedanken gemacht, was ich heute mit meinem Pferd übe oder erarbeiten möchte. Aber ich prüfe sehr genau, ob diese Pläne auch heute passen. Und selbst wenn ich im Sattel sitze oder wenn ich an der Hand arbeite - ich muss das erkennen können und ich muss wissen, was ich tue. Ob es sinnvoll ist, was ich tue. Ob ich meinem Pferd damit wirklich helfe oder ob ich nur Zeit "absitze" und mit den Gedanken schon ganz wo anders bin. Respektlos wäre das. Einfach respektlos.
Es ist doch so und sind wir mal ganz ehrlich und grade heraus: Die meisten - und ich rede von knapp 90% - der Reiter oder Pferdemenschen wissen nicht, was sie tun und warum. Ganz unabhängig ob sie wissen, was Reitertakt oder Reitkultur ist. Und das tun sie nicht immer absichtlich. Sie haben es eben so gelernt, von den unzähligen Trainern, die sie bereits engagiert haben, den unzähligen Büchern, die sie so ein bisschen gelesen haben oder von den Stallfreundinnen, die die Dinge genau so machen. Und davon haben sie sich dann "das Beste" herausgesucht.
Dabei hat es doch auch mit Respekt und Kultur zu tun, wenn ich mich bilde oder nicht? Und zwar richtig. Voll und ganz. Und es hat doch mit Respekt zu tun wenn ich mein Pferd täglich aufmerksam putze um zu entscheiden, was ich heute mit ihm übe oder erarbeite - oder nicht?
Vielleicht ist dieses Fehlen von Kultur in der Reiterwelt ein Phänomen, was ganz andere Ursachen hat. Vielleicht ist es ein "Die Wahrheit nicht sehen wollen". Die Wahrheit ist nicht immer angenehm. Die Wahrheit kann ziemlich frustrierend und auch erschütternd sein. Unsere Pferde zeigen uns die Wahrheit. Immer. Ob wir sie wirklich sehen können und vor allem WOLLEN, liegt an uns. Wir müssen lernen, der Wahrheit ins Auge zu blicken, wir dürfen uns nicht davor verschließen, uns weder wegducken noch uns dann einfach der Einfachheit wegen mit anderen (vermeintlich leichteren) Lügen beschäftigen.
Reiten und Reitkultur hat für mich etwas mit Spiritualität zu tun. Mit dem Öffnen meines Geistes - mit Entwicklung.
Ich lerne täglich dazu, ich entwickle mich und damit auch meine Pferde - weil ich mich dafür entschieden habe. Ich bin offen für Entwicklung.
Doch woran erkennen wir die Wahrheit?
Die Antwort lautet: An unseren Pferden erkennen wir sie. Unsere Pferde zeigen sie uns, täglich.
Ein Gastbeitrag von Susanne Grun - Horselearning by Susn Instagram: @horselearningbysusn
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Foto: Sabrina Mischnik